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Anthropologie

Nachdem ich gestern die Predigt eines römisch-katholischen Priesters hörte, hat sich für mich zum einen folgende Frage ergeben: 1. Existieren der protestantischen Theologie nach Wesen mit DSD? (http://a.wki.pe/DSD) Es geht hier nur um die theologische Existenzfrage, nicht um die faktische. Schließlich kann man ja auch z. B. "Die Erde ist eine Scheibe" als Glaubensgrundsatz festlegen. Ich habe den Fehler begangen, im Netz zur Lehrmeinung zu suchen, und bin dabei auf (hoffentlich nicht offizielle) Exegeten gestoßen, deren Äußerungen mich zum zweiten Teil meiner Frage veranlassen: 2. Falls es solche Wesen (doch) geben sollte, handelte es sich dabei um Menschen, die demnach auch getauft werden und das Heil erlangen könnten durch Gottes Gnade, oder ist ihnen dies verwehrt, und aufgrund angeborener Behinderung werden sie nie in den Himmel gelangen, denn ihre Eltern haben gesündigt und alle Behinderten werden ewig in der Hölle brennen, je früher desto besser und am besten sofort auf dem Scheiterhaufen? (Ich kann der Logik nicht folgen, nach welcher einerseits die Existenz bestritten und andererseits für die gleichen die Hölle verkündet wird. Und ich bin glücklich darüber, dass es in der Bundesrepublik Deutschland den Glaubensgemeinschaften verboten ist, Leute auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, und auch Aufrufe dazu strafbar sind - wenn die Urheber ermittelbar wären.)

Es ist sicherlich Aufgabe der (katholischen wie protestantischen) Theologie, sich zu aktuellen naturwissenschaftlichen und sonstigen empirischen Fragen kommentierend zu äußern. Sie kann aber aus erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Gründen die theologische Begründung ihrer Stellungnahmen nicht mit naturwissenschaftlichen oder empirischen Aussagen verwechseln – so wie das umgekehrt freilich auch nicht der Fall sein sollte. Die Frage von DSD ist daher sicherlich keine, die sich optional als theologische Existenzfrage überhaupt sinnvoll stellen ließe: Wenn es faktisch Menschen mit DSD gibt, dann gehören sie zur menschlichen Existenz dazu. Theologie jeder Konfession bezieht sich auf menschliche Existenzfragen aller Arten und würde deshalb auch zu DSD Stellung nehmen können, etwa in der Frage, wie sich aus solch einer Perspektive Fragen von Menschenbildern, Rollenvorstellungen, Zukunftshoffnungen (die elementar an Fragen von Leiblichkeit und Geschlechtlichkeit gebunden sind) ausnehmen.

Damit bin ich bereits beim zweiten Teil Ihrer Frage angekommen: Selbstverständlich stehen solche Menschen unter der Gnade Gottes; ebenso selbstverständlich sind sie auf ihren Wunsch hin bzw. auf den Wunsch ihrer Eltern hin zu taufen. Denn die biologische Definition ihrer Geschlechtlichkeit sagt nichts aus über ihren Status als Menschen vor Gott. Schon Ihre Formulierung, dass es sich dabei um „Behinderung“ handeln würde, ist ja keineswegs ausgemacht; es könnte sich auch um „einfach nur anders“ handeln. Der Rekurs auf die Sündenlehre schließlich hat hiermit gar nichts zu tun. Denn wie in der Frage zu Schöpfung und Sünde in Gen 2f. (hier) ausgeführt, geht es mit dem Verhältnis von Schöpfung, Paradies und Sündenfall gerade nicht um eine historische Herleitung, schon gar nicht um eine historische Herleitung mit Erbgutfaktor, sondern um die Frage, wie menschliches Leben idealiter aussehen könnte und wie es in seiner realen Gestalt zu verstehen ist.

(Prof. Dr. Cornelia Richter)
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