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Reihenfolge der Evangelien

Warum sind die vier Evangelien in der Reihenfolge Matthäus-Markus-Lukas-Johannes angeordnet?

Die Reihenfolge der Evangelien wurde auf den Konzilien des 4. Jahrhunderts im Zuge der Kanonbildung sanktioniert, ergab sich aber aus dem faktischen Gebrauch in den Gemeinden und den schon vorhandenen Vier-Evangeliensammlungen. Es kursierten zwar durchaus unterschiedliche Reihenfolgen der Evangelien (so die sog. „Westliche Reihenfolge“ bzw. „apostolische Reihenfolge“ Mt-Joh-Lk-Mk), die sog. „historische Reihenfolge“ Mt-Mk-Lk-Joh war aber wohl die am weitesten verbreitete.

Dennoch ist die Anordnung nicht rein zufällig, sondern in ihr spiegeln sich Kriterien für die Geltung und Bedeutung der Evangelien wider. Ein Hauptkriterium (auch für die Auswahl) ist sicherlich die Apostolizität des Evangeliums. Während die Autoren von Joh und Mt als die entsprechenden Apostel betrachtet wurden, deutete man Mk und Lk als Apostelschüler (Mk als Dolmetscher des Petrus, Lk als Begleiter des Paulus). Diese Argumentation begünstigt nun aber eher die „Westliche Reihenfolge“, in der „Historischen Reihenfolge“ hingegen rahmen die beiden Apostel Mt und Joh die beiden Schüler Mk und Lk.

Pokorný/Heckel gehen in ihrer „Einführung in das Neue Testament. Seine Literatur und Theologie im Überblick“, Tübingen 2007, von drei Kriterien aus, welche die Anordnung der Evangelien bestimmen: 1. das Alter, 2. der Umfang und 3. die Ähnlichkeit mit den Büchern des AT (83). Nach diesen Kriterien steht Mt, mit dem Anfang Βίβλος γενέσεως Ἰησοῦ Χριστοῦ (Mt 1,1), der an die Geschichtsbücher des AT erinnert, und dem größten Umfang folgerichtig am Beginn. Zudem wurde Mt, entgegen heutigen exegetischen Erkenntnissen, als das älteste Evangelium betrachtet. Außerdem finden sich in ihm wichtige liturgische Texte wie z.B. das Vater Unser, aber auch der Missionsbefehl, die in den Gemeinden in Gebrauch waren. Joh dagegen wird trotz seines Umfang und dem Verweis auf die Schöpfung in den ersten Versen aufgrund von politischer und theologischer Vorsicht (dem als Missbrauch wahrgenommenen Umgang mit Joh durch die Montanisten und der möglichen doketischen Lesart) an das Ende versetzt. Zudem wird dadurch das eher heilsgeschichtlich orientierte JohEv von Lk und der Apg mit ihrem starken weltgeschichtlichen Bezug gerahmt (84). In dieser Logik bleibt für Mk dann die zweite Stelle – wobei darauf hinzuweisen ist, dass allein die Existenz des Mk in den Evangelien dafür spricht, dass dieses relativ schnell eine weite Verbreitung gefunden hat. Sonst ließe sich die Beibehaltung eines so kurzen Evangeliums, das zudem fast vollständig in Lk bzw. Mt enthalten ist, nicht erklären. Ebenso ist die Reihenfolge der Evangelien trotz ihrer Stimmigkeit nicht autoritativ angeordnet, sondern hat sich aus den in den Gemeinden gebräuchlichen Sortierungen ergeben.

Aus systematischer Perspektive ist außerdem die Erhaltung aller vier Evangelien inklusive ihrer Widersprüche relevant. Sie wurden eben nicht (bspw. im Sinne des Diatesseron des Tatian von Syrien im 2. Jahrhundert) harmonisiert und in ein Evangelium zusammengeführt – sondern blieben als vier unterschiedliche Evangelien stehen, die jeweils andere narrative und theologische Schwerpunkte setzen. Die notwendig plurale Perspektive auf die Erzählung von Jesus Christus zeigt sich also schon in der Gestalt des Kanons. Die Betrachtung über die Reihenfolge zeigt aber auch, dass immer wieder neu reflektiert werden muss, wie mit dieser Vielfalt umgegangen werden kann, so dass die Geltung und Wirkung dieser Erzählung für die Lesenden bzw. die Gemeinden gewährleistet ist.

 

(WM Katharina Opalka)
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