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Wirken Gottes zwischen Macht und Ohnmacht

Zur Frage nach einem Sühneopfer, das Jesus Christus habe erbringen müssen, schreiben Sie: "Deshalb würde ich selbst zwar nicht die Härte des Kreuzestodes verschweigen wollen, aber ich würde ihn nicht in dieser direkten Weise Gottes Willen zuschreiben. Im Gegenteil, der Kreuzestod Jesu zeigt, wozu Menschen fähig sind." Hat Gottes Allmacht (1. Glaubensartikel), die alles in allem wirkt (1.Kor 12,6), hier etwa versagt. Muss Gott nicht den Tod seines Sohnes zumindest zugelassen haben und das aus guten Gründen?

In Absprache mit Prof. Richter, die Sie in Ihrer Frage zitieren und die zu diesem Themenkomplex bereits mehrere Antworten verfasst hat (hier, hier und hier), versuche ich aus der Perspektive meiner Dissertation zum Thema „Demut und Allmacht“ zu antworten: Ich verstehe ihre Anfrage so, dass sie eigentlich drei Fragen beinhaltet, die zusammengedacht werden sollen: a) Die Frage nach dem Verursacher des Kreuzestodes Jesu – ist dieser alleine den Menschen zuzuschreiben oder ist nicht doch Gott, in einer Art unterlassenen Hilfeleistung dafür verantwortlich? Dann b) die Einführung der Kategorie der Allmacht, um das Handeln Gottes zu charakterisieren und schließlich c) die Einbeziehung von 1. Kor 12,6: „Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ‚einʻ Gott, der da wirkt alles in allen“. Ich beginne mit dem dritten Aspekt.

Zunächst ist zu c) zu sagen, dass in 1. Kor 12,6 nicht von der Allmacht Gottes die Rede ist. Paulus reflektiert darüber, warum es in der Gemeinde verschiedene Kräfte (Geistesgaben) gibt. In seiner Antwort  hebt er zunächst die Vielfalt menschlichen Handelns hervor („es sind verschiedene Kräfte“). Aber dieses in der Gemeinde sehr plural erscheinende Handeln ist nicht beliebig, sondern steht unter einer gemeinsamen Überschrift – es ist Gottes Wirksamkeit, die in diesem vielfältigen Handeln erfahrbar ist.

b) Die Vorstellung der „Allmacht Gottes“ wäre  eine mögliche Beschreibung dieses Wirkens (da Sie auf den 1. Glaubensartikel verweisen: Der Schöpfer und der Vater wären andere). Die Vorsilbe „All“ zeigt: Es ist die Vorstellung, dass die Macht Gottes als ein Moment von absoluter Überwältigung erfahren wird – und deswegen nicht einfach mit menschlichen Machtstrukturen und Handeln aus Macht gleichzusetzen ist. Aus diesem Grund darf die Rede von der „Allmacht“ Gottes  nicht mit dem Handeln einer Person aus Macht verwechselt werden, in dem Sinne, dass Gott anthropologische Züge trägt und wie ein Mensch real in die Wirklichkeit eingreifen könnte – also so, dass er die Kreuzigung Jesu hätte stoppen können, indem er den Soldaten in den Arm greift. Denn mit dieser Vorstellung kommt man in mindestens die beiden folgenden Erklärungsnöte:

Erstens: Welche Gründe hätte Gott gehabt, nicht einzugreifen? Diese Gründe sind uns erkenntnistheoretisch verborgen und könnten nicht anders als spekulativ eruiert werden. Mit dieser Spekulation käme man aber entweder nahe an den Zynismus, insofern man Gott unterstellen müsste, dass er absichtlich den Tod eines Menschen zulässt. Oder man würde sich zumindest über Gott erheben, sich über ihn stellen, indem man ihm vorschreibt, was er zu tun und zu lassen habe.

Zweitens: Wenn Gott derart in die Welt eingreifen könnte, warum greift er dann nicht auch ein, wenn Menschen sich Tod und Leiden ausgesetzt sehen, vollständig ohnmächtig sind? Dafür eine Begründung zu finden, wird sowohl seelsorgerlich als auch theologisch schwierig.

a) Die Erzählungen der Evangelien gehen deswegen, damit bin ich von hinten her beim ersten Aspekt angelangt, einen anderen Weg: Sie reden erst gar nicht von der Allmacht Gottes; der Begriff παντοκράτωρ taucht im NT nur in wenigen (liturgischen) Stellen als Übernahme der griechischen Übersetzung der LXX des Gottesnamen El Shaddaj/Zebaoth auf (vgl. W. Dietrich, Art: Allmacht Gottes, in: wibilex 2006). Sondern die Evangelien erzählen davon, dass Gott in konkreten Momenten menschlichen Lebens erfahrbar wird, und zwar  in der ganzen Bandbreite menschlicher Erfahrung. Nicht nur in den triumphalen, heroischen Momenten, dann wenn der Tod gerade noch aufgehalten wird, wenn das Leben siegt – sondern gerade auch in den Momenten, in denen der Tod (scheinbar) das letzte Wort hat, in den Momenten absoluter Ohnmacht und tiefsten Leidens. Die biblischen Erzählungen vom Tod Jesu am Kreuz gehen davon aus, dass sich Gottes Allmacht in der Ohnmacht zeigt und zeigen muss. Die Rede von der Allmacht Gottes und die Rede vom Kreuzestod Jesu würde ich als zwei Arten begreifen, mit unserer Ohnmacht angesichts des Todes umzugehen:

Mit dem Kreuzestod wird diese Ohnmacht in all ihrer Härte und Brutalität vor Augen gestellt und bewusst gemacht. Und mit der Rede von der Allmacht wird gleichzeitig die Hoffnung darauf ausgedrückt, dass diese Ohnmacht nicht das letzte ist. Sondern dass wir es in unserer Ohnmacht wagen können, von einer darüber hinausgehenden Macht zu reden. Einer Macht, die derart alles in allem ist, dass sogar die Machtstrukturen transformiert  werden können, die als politische Macht immer wieder zu so grausamen Toden wie dem Kreuzestod führen.  

Und genau das, die Möglichkeit Machtstrukturen nicht nur aushalten zu können, sondern mit den Bildern von Allmacht und Ohnmacht auch gestalten zu können, ist die Stärke dieser christlichen Rede von dem Glauben an den allmächtigen Gott, der am Kreuz den Tod stirbt.

 

(WM Katharina Opalka)
Kommentar: Wenn dies die Antwort auf meine Frage ist, hätte ich meine Frage gerne zurück und zwar aus folgenden Gründen:
zu c) In 1.Kor 12,6 redet Paulus sehr wohl von der Allmacht Gottes. Er begründet (in den Versen 4-6) das Vorhandensein und den gemeinsamen Bezugs- und Ausgangspunkt der verschiedenen Gaben, Ämter und Kräfte mit allgemeingültigen Wahrheiten, nämlich dass es EINEN Geist gibt, EINEN Herrn und eben EINEN Gott, der da wirkt alles in allem. Es wäre unlogisch argumentiert zu behaupten, die Gültigkeit einer allgemeinen Wahrheit hänge ab von einer Situation unter mehreren, in der diese Wahrheit gilt. Denn allgemeine Wahrheiten sind eben uneingeschränkt wahr.
zu b) Die Allmacht Gottes ist notwendig dafür, dass er auch Schöpfer und Vater sein kann. Gott muss die Möglichkeit und Fähigkeit besitzen, alles was er tun will tun zu können, er muss Allmacht im Sinne einer Allpotenzialität haben.
Natürlich hätte dieser allmächtige Gott den Soldaten in den Arm greifen können, doch über seine Gründe dies nicht zu tun steht dem Menschen kein Urteil zu. Doch es ist Gott selbst in Jesus Christus, der sich aus freien Stücken in den Tod gibt, hier darf man die Einheit des Vaters mit dem Sohn nicht aufbrechen.
Gott lässt auch heute noch unübersehbar Leid geschehen. Die Gründe dafür kennt nur er. Doch es führt in viel größere theologische und seelsorgerliche Nöte, wenn man von einer Ohnmacht Gottes spricht, als wenn man seine Allmacht anerkennt: denn welche Hoffnung, welche Zuversicht liegt in dem Glauben an einen ohnmächtigen Gott?
zu c) Die Evangelien geben dem Wirken Gottes, keinen zentralen, prägnanten Begriff, aber sie beschreiben und erzählen eindrücklich das Wirken des menschgewordenen Gottes, der eben auch Leid zulässt. Jesus sagt seinen Jüngern sogar auf den Kopf zu, dass sie leiden werden, aber dass er als allmächtiger Sohn, in der Einheit mit dem allmächtigen Vater, ihr Heil und die Unversehrtheit ihrer Seelen garantiert.
Mat 10,28-31: Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupt alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge.
Diese Allmacht Gottes, die seinen Kindern Erlösung und Heil garantiert, begründet bei allem Leid, in das sie nicht eingreift, eine weit größere Hoffnung und Zuversicht als irgendeine Ohnmacht Gottes.
 
Antwort K. Opalka: Das ist das Gute an den Theologischen Updates, dass man in ein theologisches Gespräch kommen kann und dabei selbst die Gedanken genauer entwickelt. Ihr Kommentar enthält wichtige Punkte, von denen ich einige aufgreifen und meine Position erläutern möchte.

Wenn wir über die „Allmacht“ reden, dann ist uns dieser Begriff sehr vertraut und oft mit einem Aspekt verbunden, auf den Sie auch verweisen, nämlich der Vorstellung, dass unter Allmacht eine „Allpotenzialität“ verstanden werden sollte, also die absolute Herrschaft des Schöpfergottes über den Kosmos. Aber schon diese Vorstellung von der „Potenz“ Gottes ist das Ergebnis einer religions- und theologiegeschichtlichen Entwicklung: In der hebräischen Bibel finden sich die Gottesnamen „El Shaddai“ und „Zebaoth“, die zunächst als Namenszusätze zur Anrufung verwendet wurden. [Die Bedeutung von El Shaddai lässt sich kaum noch rekonstruieren (vgl. dazu: Pfeiffer, Art. Gottesbezeichnung/Gottesname, in: http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/19928/), Zebaoth meint wahrscheinlich (Herr) der Heerscharen (vgl. dazu: Kreuzer, Art. Zebaoth, in: http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/35190/ ).] In der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, der LXX, wurden diese beiden Gottesnamen mit „pantokrator“ (παντοκράτωρ) wiedergegeben. Erst in der Übersetzung der lateinischen Bibel, der Vulgata, und mit der Theologie Augustins kam die Beschreibung Gottes als „omnipotens“ auf und damit eine Verschiebung der Bedeutung: „Pantokrator“ beschreibt, was Gott tut, was als Gottes Wirken erfahrbar geworden ist. „Omnipotens“ geht darüber hinaus und fragt, was Gott tun könnte (vgl. C. Danz, Wirken Gottes, 2007, 129). So entwickelt sich ein allgemeiner Begriff von Gottes Handeln, und zwar als der eines Potentaten, der so wie ein weltlicher Herrscher souverän regiert. Dieser Diskurs ist dann in der Theologiegeschichte dominant geworden und hat sich auf die Absolutheit Gottes fokussiert. Aber, wie man schon an diesem kurzen geschichtlichen Abriss sieht: Allmacht lässt sich gar nicht so einfach „auf den Begriff bringen“, wenn wir vom Wirken Gottes reden. Und das spiegelt sich auch im NT wieder:

Sie schreiben: „Die Evangelien beschreiben eindrücklich das Wirken des menschgewordenen Gottes.“ Eindrücklich ja, aber nicht begrifflich eindeutig: Das Wirken der Macht Gottes wird berichtet, weil es als Wirken erfahrbar geworden ist – und zwar von Menschen, die in ganz unterschiedlichen Kontexten stehen und vielfältige Reaktionen darauf haben. Das lässt sich auch hier wiederum an den vielfältigen Begriffen für Macht festmachen, die mit ganz unterschiedlichen Bildern und Diskursen arbeiten:

1. Einer der wichtigsten Diskurse ist die Frage nach der ἐξουσία, der Vollmacht Jesu. Inwieweit partizipiert Jesus an der Macht Gottes, mit welcher Autorität kann er handeln? Die Evangelien betonen, dass Jesus nicht aus menschlicher Macht handelt, sondern an der Souveränität des Vaters teilhat (vgl. Joh 10, 18). Und dennoch gilt: Schon zu Lebzeiten handelt Jesus vollmächtig (vgl. Mt 11,27), aber erst nach der Auferstehung, als Christus, kann er wirklich verkündigen: „Mir ist gegeben alle Vollmacht im Himmel und auf Erde“ (Mt 28,18). Und erst mit diesem Wissen erschließt sich dann auch das vorangegangene Handeln Jesu in den Evangelien. (Vgl. zur ἐξουσία insgesamt: Foerster, Art. ἐξουσία, in ThWNT Bd. 2 (1935), 557-595.)

2. Dieses Handeln als konkretes, das Leben der Menschen sichtbar veränderndes Wirken wird in den Evangelien oft als δύναμις bezeichnet (ein Begriff, der allerdings auch für andere Mächte, bspw. den Dämonen, verwendet werden kann). Während ἐξουσία in den Evangelien stärker das Prinzip meint, werden mit δύναμις einzelne Momente des Handeln Gottes bezeichnet (vgl. Lk 4,14.36); deswegen werden auch die Wunder als δυνάμεις charakterisiert. In der δύναμις verwirklicht sich die ἐξουσία. (Vgl. dazu auch: Krug/Luther, Art. Dynamis, in: http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/56098/; und: Grundmann, Art. δύναμις, in: ThWNT Bd. 2 (1935), 286-318.)
Dynamis kann dabei auch mit einem Moment von durchaus physisch gedachter Überwältigung behaftet sein; es ist wirklich kraftvolles, machtvolles Handeln (und hat deswegen Ähnlichkeiten mit der Beschreibung des Handelns Jesu als κράτος, ἰσχύς etc.). Deswegen ist es umso erstaunlicher, dass Paulus in 1 Kor 1,18.24 (vgl. auch 2 Kor 13,4) δύναμις gebraucht: In der Schwäche des Kreuzestodes Jesu zeigt sich jetzt gerade eine δύναμις, ein kraftvolles Handeln Gottes. Wiederum: In der Ohnmacht erweist sich die Macht Gottes und ohne das Einbeziehen der Erfahrung dieser Schwäche, dieser Ohnmacht kann die Macht Gottes gar nicht gedacht werden.

3. Dass wir unabhängig von konkreten Momenten darauf hoffen können, dass ein Wirken Gottes geschehen kann, ist oft mit dem Begriff ἐνέργεια (der sich ableitet von Werk, ἔργον) gekennzeichnet. ἐνέργεια ist das Wirken Gottes im Geist, das z.B. durch menschliches Wirken sichtbar werden kann, so wie in 1. Kor 12,6.11. Die Werke der Menschen in der Gemeinde geschehen in der Hoffnung auf und motiviert durch das Wirken Gottes. (vgl. zur ἐνέργεια: Bertram, Art. ἐνέργεια, in: ThWNT Bd. 2 (1935), 631-653).

4. Dass dieses Handeln Gottes zwar als Wirkung erfahren wird, aber eben nicht eindeutig bestimmbar ist, zeigt sich schon an der stark bildhaften Sprache, die ein weiteres Feld der Rede von der Macht Gottes eröffnet: „Wenn ich mit dem Finger Gottes Dämonen austreibe…“ (Lk 11,20). Das Bild vom „Finger Gottes“ (δακτύλω θεού) speist sich aus der Metaphorik der hebräischen Bibel, die von der „Hand Gottes“ (יד יהוה; bspw. Ex 15,6.13) spricht, um das machtvolle Wirken Gottes an seinem Volk zu beschreiben. Diese stark anthropomorphen Vorstellungen zeigen aber, besonders im Kontext des Bilderverbotes, dass sie eben ein Versuch sind, die Erfahrung der Macht Gottes greifbar und kommunizierbar zu machen.

Im Ende läuft dieser sehr kurze und knappe Durchgang durch die verschiedenen Formen von Macht darauf hinaus, dass auch die Rede von der Allmacht nicht einfach mit dem Absoluten oder der Potenz Gottes gleichzusetzen ist. „Allmacht“ kann daher immer wieder ein Denkanstoß sein, um zu fragen, wie das Wirken Gottes an uns (oder auch die biblischen Erzählungen vom Wirken Gottes an Menschen) vorgestellt werden können – und von welcher Art Macht wir eigentlich reden, wenn wir diese Vorstellung in Anspruch nehmen, was unsere Assoziationen von Macht sind etc. Was wir unter „Allmacht“ zusammenfassen, ist komplexer und vielfältiger als die knappe Chiffre suggeriert – damit aber auch besser auf die vielfältigen und komplexen Lebenssituationen der Menschen zu beziehen: Der Bezug auf die Ohnmacht kann in der einen Situation hilfreich sein, in dem sie mich auf den leidenden Gott verweist, der eben nicht fern bleibt, sondern Angst und Zerbrochenheit, Tod und Trauer in sich aufgenommen hat. Denn auch wenn die Hoffnung auf das alles umspannende, heilvolle Handeln Gottes mir in einer anderen Situation ebenso eine neue und lebenswichtige Perspektive aufzeigen kann, so entspricht es leider nicht immer der menschlichen Erfahrung, dass dieses auch so geschieht. Erstaunlicherweise jedoch kann die Rede von der Kraft Gottes in der Schwachheit des Kreuzes in all ihrer Uneindeutigkeit als vollmächtiges Handeln Gottes selbst kraftvoll werden.

Kommentar: Ich kann aus Zeitgründen nicht auf die einzelnen Diskussionslinien eingehen. Schon die Betrachtung des Gottes-Begriffes lässt diesen als Synonym für Allmacht aufscheinen. Ein transzendentes persönliches Wesen muss, falls es ist, allmächtig sein, etwas anderes ist gar nicht denkbar. Interessant ist für mich die Dialektik von Allmacht und Ohnmacht. Wir verstehen im allgemeinen Sprachgebrauch die Begriffe als Gegensätze. Die Ohnmacht des Menschen ist der Allmacht des Transzendenten gegenüberzustellen. Ein Mensch, auch Gottes Sohn, kann als Mensch nicht allmächtig sein. "...aber nicht mein Wille...": Als Mensch ist Jesus ein Opfer von Menschen, nicht für Menschen. Als Gott ist er für Menschen gestorben. "Gottes Wille" ist eine unzulässige Denkfigur, auch wenn Jesus davon spricht und wir beten: dein Wille geschehe!
Noch etwas zum Tod: die Rede vom Tod als Folge der Sünde berücksichtigt noch nicht die biologische Tatsache, dass man sterben muss. Es ist also ein vorwissenschaftlicher Mythos. Der Begriff "Sünde" ist entsprechend historisch zu sehen.
Nüchtern betrachtet ist Jesus ein Opfer von Menschen. Die Deutung im Sinne eines Sühnetodes ist zwar nicht mehr en vogue, ich verstehe aber nicht so recht, wie man ihn dann theologisch deuten kann.

Antwort K. Opalka: Ich erlaube mir, auf beide Kommentare zu antworten, da hier in der Diskussion einige Stränge zusammenlaufen.
Zuerst: Die Frage, und die anschließende Diskussion zeigt, wie wichtig es ist, einen Begriff von Allmacht (und damit auch dem Wirken Gottes) zu entwickeln, der die Ohnmacht mitdenkt. An dieser Stelle muss offensichtlich noch weiter gedacht werden und jede weitere Diskussion schärft ein bisschen mehr, was wir unter Allmacht verstehen können.
Meine These ist nun, dass Allmacht nicht ohne ihr Gegenteil gedacht werden kann – die vollkommene Ohnmacht, die absolute Verlassenheit. Auf einer rein logischen Ebene: Eine Allmacht, die nicht auch die Erfahrung von absoluter Ohnmacht einbezieht, könnte nicht das Präfix „All-„ für sich beanspruchen – es würde ihr genau diese Erfahrung der Ohnmacht fehlen. Aber diese oder eine andere rationale Klärung reicht m.E. als Argument noch nicht aus, warum Allmacht dazu zwingt, die Ohnmacht mitzubedenken: Erfahrungen von Ohnmacht, von Machtlosigkeit und Hilflosigkeit angesichts unseres eigenen Lebens oder der Lage der Welt sind zutiefst emotional und die Frage kann nicht von der Emotionalität dieser Erfahrungen getrennt werden. Sie sind menschlich und müssen ausgehalten und gestaltet werden. Übrigens gilt dasselbe auch für die andere Seite: Auch machtvoll zu sein, sich plötzlich auf der Seite der Mächtigeren wiederzufinden, kann eine erschreckende Erfahrung sein, die ethische Fragen aufwirft und wiederum nicht vom emotionalen Gehalt zu trennen ist.
Über „Macht“ zu reden, ist nie einfach, nie schwarz oder weiß, sondern komplex – und ich finde es einen Reichtum der biblischen Erzählungen, dass sie die diese Komplexität abbilden (das zeigt ja auch schon Ihr Verweis auf die doppelte Natur Jesu Christi, als Mensch und Gott), dass sie genau das erzählen – dass sich Gottes Allmacht in der vollkommenen Ohnmacht des Kreuzes zeigt. Der Ruf Jesu am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ ist gleichzeitig Ausdruck tiefster Klage und Verlorenheit und (im Weitergang des Psalm) Ausdruck der höchsten Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, weil Gottes Verheißung gegeben ist. So wird die Geschichte dann ja auch erzählt – die Evangelien enden nicht mit dem Tod Jesu, sondern mit dem Staunen der Jüngerinnen und Jünger über die Auferstehung. Das ist, würde ich sagen, eine Variante, den Tod Jesu theologisch zu deuten (jenseits aller Sühneopfervorstellungen): Es gibt absolute Ohnmacht und Verlassenheit, Leben ist immer schon zerbrechlich und fragil, das Kreuz bleibt hart und schwierig zu ertragen – aber in dieser Verlassenheit kann (nicht muss, sondern kann) die Erfahrung gemacht werden, dass Gott dort präsent ist (wie auch immer das dann geschieht). Dass sowohl die Klage, als auch die Hoffnung angesichts von Ohnmacht, Tod und Verzweiflung ausgesprochen werden können – und damit eine Möglichkeit gegeben ist, über den Tod hinauszugehen. Ich würde darauf vertrauen, dass genau dieses in den biblischen Erzählungen gegeben ist und sich durch diese performativ immer wieder ereignen kann.
Aber Sie sehen: Es bleibt kompliziert. Und deswegen würde ich zustimmen: Wir müssen immer wieder neu versuchen, zu formulieren, was wir eigentlich meinen, wenn wir im Zusammenhang mit dem Tod von „Sünde“ reden und wie wir Gott (oder sogar Gottes Willen) vorstellen können. Wir müssen uns bewusst sein, in welchem Rahmen und mit welchen Hintergründen wir davon reden – so wie die Rede vom Sühneopfer an die mittelalterlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit gebunden ist, so ist auch unsere Rede von Gott und Gottes Willen an bestimmte Vorstellungen gebunden. Das bedeutet nicht Begriffe wegzulassen, sie zum Verschwinden zu bringen; sondern es bedeutet „nur“, dass wir immer wieder neu gefordert sind, darüber nachzudenken.
 
Kommentar: Erstaunlicher Hinweis im Kommentar: " Denn auch wenn die Hoffnung auf das alles umspannende, heilvolle Handeln Gottes mir in einer anderen Situation ebenso eine neue und lebenswichtige Perspektive aufzeigen kann, so entspricht es leider nicht immer der menschlichen Erfahrung, dass dieses auch so geschieht. Erstaunlicherweise jedoch kann die Rede von der Kraft Gottes in der Schwachheit des Kreuzes in all ihrer Uneindeutigkeit als vollmächtiges Handeln Gottes selbst kraftvoll werden."
IM Satz: Allmacht Gottes wird im Kreuz Christi verstanden!
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