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Schöpfung und Sündenfall

Wie erklärt sich nach neuestem exegetischen Stand in der 2. Schöpfungsgeschichte die Erschaffung der Frau, der Baum der Erkenntnis und die Schlange?

Wir erleben in der Theologie gerade an ganz vielen Stellen eine methodische Neuorientierung, die in den exegetischen Fächern zu einer Erweiterung der historischen Kritik im Blick auf die hermeneutische Wahrnehmung der Texte geführt hat. Ich selbst bin in meinem Studium noch mit der klassischen Unterscheidung von J, E und P aufgewachsen samt deren Zuteilung zu den Schöpfungsberichten. Zentral waren dabei die jeweils unterschiedliche Beschreibungen des Gartens in (1) fruchtbares Land versus (2) Wüstenregion, die vom aufsteigenden Nebel und gezielter Flussbewässerung abhängig ist; ebenso die Beschreibung Gottes in der (1) abstrakten Gottesvorstellung versus (2) deren anthropomorpher, einem Gärtner-gleichen Gestalt und dergleichen mehr. Inzwischen werden die beiden Geschichten sehr viel stärker in ihrem Zusammenhang gelesen, so dass sich – unabhängig von der Frage ihrer Komposition – eine Akzentuierung in Idealbild menschlichen Lebens (Gen 2f.) und der Erklärung faktischer Realität menschlichen Lebens (ab Gen 4,1) ergibt. Jeder Verdacht einer historischen Abfolge von einstigem heilen Urzustand hin zu gefallener Schöpfung wird damit einmal mehr ad absurdum geführt.

Hinzu kommt, dass die genauere Übersetzung des Textes manch dogmatische Überformung und deren Wirkungsgeschichte decodiert. Aus der Fülle der Literatur lässt sich dies besonders eindrücklich bei Konrad Schmid nachlesen: „Aus der Paradieserzählung Gen 2f. haben sich dem wirkungsgeschichtlichen Gedächtnis vor allem Adam, Eva, der Apfel und der Sündenfall eingeprägt. Blickt man in den biblischen Text, so wird man feststellen, daß von all diesen Elementen in der biblischen Erzählung allein Eva vorkommt.“ (Schmid, Lebensgewinn, 92). Daraus folgt die für jede Dogmatik relevante Mahnung, daß Gen 2f. in biblischer Sicht „allererst zur Bedingung der Möglichkeit von Sünde“ führt, „während der eigentliche ‚Sündenfall‘ erst in Gen 4, in der Erzählung vom Brudermord Kains an Abel, erzählt wird (vgl. die Begrifflichkeit in Gen 4,7 [‚Sünde‘]).“ (AaO., 93). Der entscheidende Punkt ist daher nach Schmid – eine Einschätzung, die ich aus systematisch-theologischer Sicht ausdrücklich bekräftigen möchte -, dass die Paradieserzählungen als Erzählungen/Narrative ernst genommen werden müssen und nicht von vornherein als „moralische Imperative auszulegen“ (ebd.) sind. Gen 2f.  will „nicht ein bestimmtes Verhalten motivieren oder verbieten“, sondern erzählen und begründen, weshalb das Leben ist, wie es ist (vgl. ebd.).

Für die Erschaffung und Rolle der Frau bedeutet all dies, dass sie als selbstverständlicher Teil des Menschseins verstanden wird, das nur in der zwischenmenschlichen Beziehung von Mann und Frau zu verstehen ist. „Adam wird das erste Mal namentlich in Gen 4,1 genannt, in Gen 2f. ist allein vom ‚Menschen‘ (hā’ādām) die Rede“, weil Eigennamen im Hebräischen nicht durch einen Artikel determiniert werden (AaO., 92). Für ihre Rolle kommt stärker in Betracht, dass sie in der Interaktion mit der Schlange gerade nicht leichtfertig deren Versuchung nachgibt, sondern dass sie im Gegenteil das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen, aus lauter Vorsicht gegenüber dem Gebot sogar noch verstärkt, weil sie nicht nur das Essen, sondern auch das Berühren der  Früchte der provozierenden Schlange als verboten entgegen hält (vgl. aaO., 96f.). Aus welchen Gründen sie dennoch zur Frucht greift, wird nach Schmid erst in Gen 3,6 erklärt: Sie möchte „klug werden“ (AaO., 98). Schmid schließt daraus: „Das Essen vom Baum der Erkenntnis geschieht nicht mit dem Ziel einer hybriden Erhebung des Menschen über Gott“, sondern aus dem Wunsch heraus, klug und wissend zu werden (vgl. ebd.). Die Schlange schließlich wird in Gen 2f. nicht als eine Art Widersacher gegen Gott oder gar als Satan beschrieben, sondern als Teil der Geschöpfe und als ihrerseits besonders „klug“ (vgl. aaO., 96, Anm. 13).

Der bisher zitierte und überaus empfehlenswerte Aufsatz lautet mit vollständigem Titel: Konrad Schmid: Lebensgewinn durch Wissensverzicht? Eine biblische Annäherung anhand der Paradieserzählung Gen 2f., in: Das Leben. Historisch-systematische Studien zur Geschichte eines Begriffs. Bd. 1, hg. v. P. Bahr/St. Schaede, Tübingen 2009), 91-103.

Der umfangreichere Forschungskontext zu diesem Aufsatz findet sich in dem ebenfalls empfehlenswerten Werk: Beyond Eden. The Biblical Story of Paradise (Gen 2-3) and Its Reception History, ed. by Konrad Schmid and Christoph Riedweg, Tübingen 2008.

(Prof. Dr. Cornelia Richter)
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