Christus oder Krishna?
In meinem Umfeld verreisen viele Menschen - auch nach Indien. Eine Frage, die mir häufig gestellt wird: Was unterscheidet eigentlich "Krishna" in der Bhagavatgita von Christus?
Diese Frage fällt eigentlich weit außer meine Kompetenz, weil ich keine Religionswissenschaftlerin bin. Dennoch lassen sich ein paar Stichworte nennen und v.a. ein wichtiger Literaturhinweis geben.
Die erste große Differenz ist, dass die Rede von Jesus Christus, die theologischen Reflexionen zu seiner Person und zu seinem Werk, in der christlichen Tradition in Ost und West eine unvergleichlich deutlichere Kontinuität hat, als das in den vielfältigen sog. hinduistischen Traditionen der Fall sein könnte. Über die simple Gegenüberstellung von „Christus oder Krishna“ könnte man auf den Gedanken kommen, dass „der“ Hinduismus darunter eine ähnlich zentrale und einzigartige Figur versteht, wie es im Christentum der Fall ist. Doch dem ist nicht so: Schon der Begriff „Hinduismus“ ist problematisch, weil er ein aus der Kolonialzeit geprägter Sammelbegriff für ganz unterschiedliche und zum Teil gegenläufige religiöse Traditionen ist. Deshalb ist auch die Figur Krishnas in vielfältigen Traditionen überliefert.
In ihren Grundzügen stimmen diese unterschiedlichen Traditionen darin überein, dass das Göttliche selbst abstrakt bleibt und sich als eine Art Kraft oder Macht zeigt. Es „inkarniert“ sich aber in höchst divergenten irdischen Erscheinungen, die per definitionem – weil das Göttliche selbst abstrakt ist – niemals auf eine zentrale Erscheinung reduziert werden könnte. Inkarnatio ist hier daher eng an fortwährende Transzendierung und Transformation gebunden und damit unterschieden vom christlichen Inkarnationsgedanken.
Zwar gibt es in den einzelnen Regionen, Gemeinschaften, Familien jeweils präferierte und dann auch überlieferte Götter, aber der Glaube an sie schließt nicht deren Alleingültigkeit ein. Wollte man eine zentrale Göttergruppe benennen, die sich recht breiter Anerkennung erfreut, dann würde sich sicherlich die „trinitarische“ Gruppe von Brahmā (Schöpfergott), Śiva (Gott der Zerstörung) und Viṣṇu (Gott der Bewahrung) anbieten.
Kṛṣhna ist eine an der Hirtenkultur orientierte Gottheit, also ein „Avatar“, eine der Varianten, in denen das Göttliche in das Irdische eintritt. Gemeinsam mit Ramā gehört er zu den bekannteren und bedeutenderen Avataren. In der Tradition wird vor allem seine irdische Geschichte erzählt, in der er sich als vorwitzig und erotisch freizügig zeigt, wobei letzteres im Hinduismus eine stark mystische Tendenz hat. Als er schließlich stirbt, wird er traditionell den Flammen übergeben und heftig betrauert.
Eine theologische Nähe zur Christologie lässt sich an kaum einer Stelle ausmachen. Dass diese so oft unterstellt wird, liegt m.E. an einer verkürzten und popularisierten Wahrnehmung des Hinduismus (wie übrigens auch des Buddhismus). Die Parallelisierung dürfte geleitet sein von der Vorstellung, dass es sich bei Christus und Krishna um eine ähnliche Art der Inkarnation handelt (was aber, s.o., nicht der Fall ist). Hinzu kommt, dass der Hinduismus über seine tantrischen Traditionen in ebenfalls popularisierter Weise auf die damit verbundene sinnenfreudige Erotik reduziert wird, die als wohltuender Gegensatz zur Kreuzestheologie empfunden wird. Die im Tantrismus eigentlich enthaltene mystische Dimension ist selten bewusst. Insgesamt liegt die wichtigste Differenz jedoch schlicht in der eingangs beschriebenen Vielfalt der göttlichen Transformationen ins Irdische hinein, die keine der Göttergestalten prioritiv setzen: Ob Ramā, Buddha oder Jesus bleibt in solch einer Rezeption gleich, weil dort alle drei als unterschiedslos anerkannt werden könnten.
(Prof. Dr. Cornelia Richter)
Zum Weiterlesen:
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Hans-Martin Barth: Dogmatik. Evangelischer Glaube im Kontext der Weltreligionen. Ein Lehrbuch, Gütersloh 2008 (3. Aufl.).